Der Handwerker kennt sein Werkzeug, der Koch seine Zutaten – Wissensarbeiter*innen hingegen setzen sich oft nur wenig oder gar nicht mit ihren Werkzeugen und „Zutaten“ auseinander. Dr. Nils Müller ist seit 2021 bei IEGUS und befasst sich besonders mit dem Thema Wissensmanagement. Wie können wir Wissen sichtbar machen, wie können wir Tools besser nutzen und Arbeitsprozesse für alle verbessern? Mit diesen und weiteren Fragen trägt Nils zur Professionalisierung aller bei. Diplombetriebswirt, promovierter Soziologe, Schreibdidaktiker und Wissensmanager Dr. Nils Müller im Gespräch mit der Blogredaktion:
Was ist deine Aufgabe bei IEGUS?
Dr. Nils Müller: Bei IEGUS bin ich primär für das Thema Wissensmanagement zuständig, arbeite also nicht im Kern bei Projekten mit. Ergänzend betreue ich die Außenkommunikation und das Marketing. Parallel zu meiner Arbeit für IEGUS bin ich auch viel für unser Partnerunternehmen tätig: Für die contec GmbH konzipiere und entwickle ich das Wissensmanagement, begleite aber auch die interne Kommunikation und den Aufbau interner Organisationsstrukturen. Zudem arbeite ich in dem Projekt „pulsnetz – Mensch und Technik im Gemeinwohl“ mit, bei dem es um die Digitalisierung unserer Branche geht.
Wie bist du zu IEGUS gekommen?
Dr. Nils Müller: Das ist eine ganz spannende Geschichte. Die contec GmbH, also unser Partnerunternehmen, gibt es ja schon seit etwa 35 Jahren. Ganz zu Anfang wurde dort noch Software entwickelt und zu dieser Zeit hat meine Mutter als Entwicklerin bei der contec gearbeitet. Beim 30-jährigen Jubiläum der Firma hat unser Geschäftsführer, Detlef Friedrich, der mich noch als Kind kannte, meine Mutter gefragt, was ich denn aktuell mache. Sie erzählte von meiner Promotion, meiner Arbeit in der Schreibdidaktik, meiner Lehrerfahrung und meinem technischen Interesse. Im Anschluss sagte er, ich solle ihn doch mal anrufen. Aus diesem Kontakt entstand dann fast zwei Jahre später mein Beginn bei der Unternehmensgruppe. Und jetzt bin ich schon seit gut drei Jahren hier.
Ursprünglich bist du promovierter Soziologe. Wie bist du von der Soziologie zum Wissensmanagement gekommen?
Dr. Nils Müller: Eigentlich bin ich sogar noch weitergewandert: Ich habe ursprünglich BWL studiert und auch abgeschlossen, dann aber gemerkt: Ich will noch irgendwas „mehr“, ich will noch ein bisschen tiefer in die Welt reingucken. So kam ich zur Soziologie und habe dort dann auch promoviert. Und wenn man eine Doktorarbeit schreibt, kommt man meist nicht umhin, sich auch über die eigene Arbeitsweise Gedanken zu machen:
- Wie kann ich meine Notizen gut machen?
- Wie kann ich meine Argumentation entwickeln?
- Wie gestalte ich meinen Zeitplan?
Man hat sehr viele Freiheiten aber eben auch die volle Verantwortung für die Gestaltung seiner Arbeit. So bin ich in das „Denken über das Denken und Arbeiten“ gekommen. Ich war nach der Promotion dann noch einige Zeit als Post-Doc in der Europaforschung tätig, aber habe schließlich aus diversen Gründen die forschende Wissenschaft verlassen und bin zur Fachhochschule Bielefeld gegangen, um dort wissenschaftliches Schreiben zu unterrichten. Im Grunde hat da mein Wechsel von der inhaltlichen Arbeit zur Methodik stattgefunden.
Ich nenne das gerne „Denken als Praxis“. Wie kann ich gut wissenschaftlich schreiben? Es ist gut, das mal explizit zu machen. An vielen Unis wird einfach vorausgesetzt, dass man schreiben kann. Genauso wird in vielen Unternehmen vorausgesetzt, dass man bestimmte Softwares kann – viele können es aber, wenn überhaupt, nur so „irgendwie“. Darüber bin ich auf das Thema Wissensmanagement und Arbeitsstrukturen gekommen. Wissensmanagement ist jedoch nicht nur reine Dokumentenarbeit. Hier mache ich jetzt alles Mögliche: von Wiki-Seiten und internen Handbüchern bis zu interner Kommunikation und Strukturierung von fachlichen Austauschgruppen, Prozessgestaltung und noch vieles mehr.
Welches Thema ist dir besonders wichtig? Warum brennst du dafür und warum sollten andere sich dafür interessieren?
Dr. Nils Müller: Mir sind viele Themen wichtig, aber gerade in diesem Kontext finde ich „Denken als Praxis“ wirklich eine schöne Zusammenfassung. Jeder Handwerker, jeder Facharbeiter in Produktionsprozessen oder ähnlichem wird an der Maschine ausgebildet, kennt sein Werkzeug und hat auch eine Einschätzung für Qualität von Werkzeug und Qualität von Rohstoffen. Ich denke da z.B. an den Koch, der weiß was gute Zutaten ausmacht. Wir Wissensarbeiter sind da sehr hemdsärmelig und machen halt einfach irgendwie. „Irgendwie wird das schon klappen und ist am Ende dann gut genug.“ Wir könnten uns das Leben oft so viel einfacher machen, wenn wir ein bisschen genauer darüber nachdenken oder reflektierter unsere Tools auswählen und einsetzen.
Was war dein liebstes Projekt in deiner bisherigen Zeit bei IEGUS?
Dr. Nils Müller: Da ich für IEGUS nicht eng in die Projektarbeit eingebunden war, steht da für mich keines besonders heraus. Was ich aber sehr gerne mache und eines meiner Kernthemen ist, ist das Thema Digitalisierung fachlich zu begleiten und weiterzuentwickeln – insbesondere für unsere Branche. Den Blick darauf zu haben und immer wieder die Frage zu stellen: Was passiert da? Was geht da? Aber auch: Was fehlt da noch und wie kommt es in die Einrichtungen oder Unternehmen? Das fachlich zu begleiten und zu betreuen, mache ich sehr viel und gern.
Was inspiriert oder motiviert dich bei deiner täglichen Arbeit?
Dr. Nils Müller: Ich finde es cool, mit vielen, sehr netten Leuten zusammenarbeiten zu dürfen. Das ist etwas das IEGUS und auch die contec auszeichnet. Unglaublich wertschätzende Kommunikation – offen, ernst, professionell – gleichzeitig aber auch ein sehr angenehmer informeller Umgang. Zudem sind die Entscheidungs- und Gestaltungswege entsprechend offen.
Gerade wenn man aus der Wissenschaft kommt, wo man zwar im eigenen Feld alle Freiheiten hat, außerhalb dessen aber nahezu nichts mehr machen „darf“, ist das besonders. Hier im Unternehmen ist es jetzt gemischt: Ich kann nicht mehr ganz alles machen, was ich möchte, wenn es um mein Feld geht, aber dafür kann ich auch in anderen Feldern mitgestalten. Und ich mag, dass sowohl bei IEGUS als auch bei contec einfach viel möglich ist. Jeden Tag oder jede Woche oder jeden Monat passiert etwas Neues und man weiß nicht immer genau: Woran arbeite ich eigentlich in drei Monaten? Dann ist mal wieder ein Prozess irgendwo ins Stocken geraten, wo ich dann unterstützen kann oder soll. Das ist das Schöne bei meiner Arbeit.
Würdest du sagen, dass das auch der Aspekt deines Jobs ist, den du am meisten magst?
Dr. Nils Müller: Ja! Und dazu kommt, dass ich Strukturen schaffen darf, mit denen andere besser arbeiten können. Das ist etwas, was ich einfach gerne mache: Wege freiräumen aber auch für den ein oder anderen „Aha“-Moment sorgen. So nach dem Motto: „Ach, das geht auch?“
Es gibt ein Modell zu unbewusster bzw. bewusster Inkompetenz. Inkompetenz meine ich hier gar nicht wertend, sondern einfach nur beschreibend dafür, was ich kann und was nicht. Ich sehe mich da an der Position zu helfen, sich bewusst zu werden, was eigentlich alles ginge, ich aber derzeit nicht kann, statt zu sagen: „Das kann ich nicht, also geht das wohl auch nicht“. Ich möchte dazu ermutigen, sich immer wieder zu Fragen „Geht das eigentlich? Könnte man das vielleicht machen?“ und dann zu schauen, wie man es umsetzen könnte. Ich beziehe mich da nochmal auf die Werkzeuge – in unserem Bereich sind das eher Software-Tools als z.B. Schraubendreher. Diese Werkzeuge kann man aber auch versuchen für sich auszureizen und auf die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Und wenn etwas nicht geht, wie man möchte, eben auch versuchen, andere Lösungen zu finden, statt das bestehende Tool als gegeben anzunehmen. Manchmal geht das einfach, manchmal geht das schwer und manchmal geht es gar nicht. Trotzdem ist es wichtig zumindest zu schauen und Möglichkeiten und Wege zu suchen, das Tool so zu nutzen oder aufzubauen, wie es für den eigenen Arbeitsprozess gut ist.
Und jetzt noch ein wenig privat: Was machst du gerne, wenn du gerade nicht für IEGUS oder contec Wissensmanagement betreibst?
Dr. Nils Müller: Mein Hobby Nummer eins ist das Lesen. Daneben nutze ich sporadisch mal den Computer zum Spielen. Tatsächlich blogge und podcaste ich gerade auch sehr viel. Ich habe zwei Podcasts und einen Blog. Das füllt neben meinem Kind einen guten Teil meiner Freizeit.
Vielen Dank für die spannenden Einblicke in deine tägliche Arbeit.
Kurz gefragt:
Welches ist dein Lieblingszitat?
Aktuell vermutlich: „Is the world you live in every day made more from rocks and grass and trees, or from articles, certificates, records, files and letters?“ (Steven Hall, Maxwell‘s Demon)
Über welche alltägliche Sache könntest du sofort einen 30-minütigen Vortrag halten?
Notizprogramme
Welches Buch sollte man unbedingt lesen?
Das fragst du jemanden mit zwei Buch-Podcasts … Ich nenne mal mehrere:
- The Web of Meaning von Jeremy Lent
- The Internet Con: How to Seize the Means of Computation und Chokepoint Capitalism von Cory Doctorow
- The Innovation Delusion von Lee Vinsel und Andrew L. Russell
Kaffee, Tee oder lieber etwas anderes?
Tee, meist grün.
Wie verbringst du deinen Urlaub am liebsten?
Mit kleinem Kind irgendwo in einer Ferienwohnung und ohne Termine – mit größerem Kind später gern wieder Städtetrips.
Interessieren Sie sich für die Themen Wissensmanagement oder Digitalisierung? Sprechen Sie uns gerne an! Falls Sie mehr von Dr. Nils Müller erfahren möchten, schauen Sie doch mal in seinen privaten Weblog und seine beiden Podcasts rein: Weltenkreuzer, Weltenflüstern, Zwischen zwei Deckeln.