Viele Menschen haben einen Arbeitsplatz abseits der Erwerbsarbeit: den informellen Care-Arbeitsplatz. Der demografische Wandel führt zu einer immer größer werdenden Anzahl älterer Menschen und damit auch einer wachsenden Zahl Pflegebedürftiger. Von den inzwischen knapp 5 Millionen Pflegebedürftigen, werden mehr als 4 Millionen Menschen von Angehörigen versorgt. Viele informell Pflegende sind parallel zu ihrer Pflegetätigkeit auch berufstätig. Was macht den Care-Arbeitsplatz aus? Wie beeinflusst die Care-Arbeit die Gesundheit der informell Pflegenden? Welche besonderen Herausforderungen gehen für erwerbstätige Pflegende mit ihren Pflegeaufgaben einher?
Zunehmend mehr Menschen pflegen ihre Angehörigen
Arbeit findet schon immer nicht ausschließlich am Arbeitsplatz statt. Viele Menschen leisten vor und nach ihrer Erwerbstätigkeit verschiedene Formen der Care-Arbeit – sei es die Betreuung von Kindern oder Enkelkindern, oder die Pflege von Angehörigen. Die Gruppe der pflegenden Angehörigen wird, genau wie die Gruppe der Pflegebedürftigen, immer größer: Die Zahl der Personen, die an Werktagen mindestens eine Stunde für Pflegeaufgaben aufwenden, lag 2020 bei 4,9 Millionen und damit um 0,8 Millionen höher als 2019 (Rebaudo et al., 2022). Würde man die informelle Pflege als Wirtschaftssektor betrachten, wäre sie damit nach dem verarbeitenden Gewerbe, das 6,83 Mio. Beschäftigte (Statistisches Bundesamt, 2024) zählt, der zweitgrößte Wirtschaftsabschnitt.
Viele Faktoren beeinflussen die Arbeitsbedingungen des Care-Arbeitsplatzes und damit die Gesundheit der informell Pflegenden
Wie der Care-Arbeitsplatz einzelner informell Pflegender aussieht, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Welchen Pflegegrad hat der Pflegebedürftige? Gibt es weitere Personen, die sich in der Pflege einbringen? Auf welcher Ebene findet die Pflege statt? Die Pflegetätigkeit kann in verschiedenen Bereichen liegen. Von der Körperpflege und medizinischen Versorgung, über Hilfe im Haushalt und bei der Lebensorganisation bis hin zur Beaufsichtigung des Pflegebedürftigen, können die Aufgaben informell Pflegender diverse Formen annehmen (Schulz & Eden 2016, van den Berg & Spauwen 2006, Halpern, Fiero & Bell 2017).
Nicht selten, nimmt die Pflegetätigkeit einen zeitlichen Umfang an, der vergleichbar mit einer Teilzeit-Arbeitsstelle ist. Durchschnittlich wenden informell Pflegende so etwa 2,5 h pro Werktag für die Pflege auf (Rebaudo et al., 2022). Pflegenden bleibt so weniger Zeit für Anderes, unter anderem z. B. für die Erwerbstätigkeit (Nowossadeck et al., 2016). Informelle Pflege ist für die Pflegenden jedoch nicht nur zeitlich eine hohe Belastung. Sie leiden auch häufiger an gesundheitlichen Einschränkungen und seelischen Belastungen (Schwinger et al., 2016). Die Forschungsergebnisse zu den gesundheitlichen Folgen der Übernahme von Pflege sind zwar nicht eindeutig, es zeichnet sich jedoch ab, dass vor allem negative psychische Folgen damit einhergehen und für manche Pflegende, auch die physische Gesundheit unter der Pflegeübernahme leidet (Kaschowitz, 2021). Während psychische Belastungen sich vor allem, durch sich verändernde Beziehungen und die Verringerung der Autonomie der Pflegenden erklären lassen, sind die physischen Belastungen besonders in körperlich anstrengenden Pflegeaufgaben begründet (ebd.).
Die Gründe dafür, warum Menschen informell pflegen, sind wichtig: Nehmen sie ihre Entscheidung zur Angehörigenpflege als autonom wahr, belasten sie die Pflegeaufgaben auch weniger (Kuhlmey & Budnick, 2022). Viele möchten ihren Angehörigen den Wunsch, möglichst lange in ihrem häuslichen Umfeld zu bleiben, erfüllen. Auch Zuneigung der informell Pflegenden für die Pflegebedürftigen oder ein Gefühl der Verpflichtung begünstigen die Entscheidung zur Pflege im häuslichen Umfeld. Nicht immer aber ist die informelle Pflege durch Angehörige eine ausschließlich freiwillige Entscheidung: Manchen Menschen bleibt angesichts einer zunehmend schlechten Versorgungslage nichts anderes übrig, als sich selbst bei der Versorgung ihrer pflegebedürftigen Verwandten einzubringen (Gräßel, 2000). Die Verfügbarkeit formeller Pflege, kann entlastend für informell Pflegende sein (Kaschowitz, 2021). Der wachsende Fachkräftemangel und die steigende Anzahl von Insolvenzen bei Pflegeheimen und Pflegeheim-Trägern tragen allerdings verschärfend dazu bei, dass auch in Zukunft viele Menschen ihre Angehörigen bei Bedarf selbst pflegen werden müssen.
Gesundheit am Care-Arbeitsplatz fördern
Im Rahmen klassischer Erwerbsarbeit gibt es vielfältige Maßnahmen und Ansätze zur Verbesserung der Arbeitsplatzgesundheit, die von simplen Angeboten wie z. B. der Einführung von Bewegungspausen oder dem Angebot von Sportkursen, über die Anschaffung gesundheitsförderlichen Arbeitsmaterials, wie z. B. höhenverstellbaren Schreibtischen, bis hin zum strukturellen Gesundheitsmanagement reichen. Sowohl der professionelle Pflegearbeitsplatz als auch der informelle Care-Arbeitsplatz können von solchen Maßnahmen profitieren. Professionell Pflegende betonen, dass für die körperliche Entlastung, besonders technische Pflegehilfsmittel wichtig sind (IEGUS et al., 2022). Auch für informell Pflegende bieten technische Pflegehilfsmittel Potenzial zur Entlastung. Teilweise restriktive Bewilligungsverfahren der Sozialversicherer, erschweren jedoch aus Sicht von Pflegefachpersonen in der ambulanten Pflege zum Teil die Anschaffung (ebd.). Viele Pflegehilfsmittel verursachen private Kosten für die Haushalte der Pflegebedürftigen.
Für informell Pflegende ist neben körperlicher Entlastung und Unterstützung bei der Pflege aber auch psychische Entlastung wichtig. Die Pflege sozialer Kontakte und Erfahrungsaustausch sind ebenso wichtig, wie Vereinbarkeit mit dem Beruf, wenn sie erwerbstätig sind, finanzielle Absicherung und die Gelegenheit, ihre Freizeit zu gestalten (Bidenko & Bohnet-Joschko, 2022). Es besteht viel Potenzial, neue Ideen umzusetzen, um diesen Bedarfen gerecht zu werden und informell Pflegenden ihre Care-Arbeit zu erleichtern. Besonders informell Pflegende, die erwerbstätig sind, brauchen zusätzliche Unterstützung, z. B. durch ihre Arbeitgeber.
Mit neuen Vereinbarkeitsmodellen die Doppelbelastung erwerbstätiger informeller Pflegepersonen minimieren
Von den pflegenden Angehörigen unter 65 Jahren gehen in Deutschland etwa zwei Drittel einer Erwerbstätigkeit nach (Kuhlmey & Budnick, 2023). Für diese Personen besteht zusätzlich zu den Herausforderungen, die im Allgemeinen mit der Angehörigenpflege einhergehen, die Schwierigkeit, die informelle Pflege mit ihrem Beruf zu vereinbaren. Für akute und längerfristige Pflegesituationen gibt es seitens des Gesetzgebers die Möglichkeit zu kurzer oder längerfristiger Freistellung. Je nach Pflegesituation ist dies jedoch keine dauerhaft tragbare Lösung. Während es für andere Formen der Care-Arbeit, insbesondere für die Kinderbetreuung, bereits vielfältige Konzepte zur Sicherstellung der Vereinbarkeit von Beruf und Care-Arbeit seitens der Arbeitgebenden gibt, sind für pflegende Angehörige bisher wenig Möglichkeiten und Ideen vorhanden, um die Ausübung ihres Berufs mit den Pflegeaufgaben zu vereinbaren.
Die Anforderungen für Vereinbarkeitsmodelle an Arbeitgebende sind je nach Form der Care-Arbeit unterschiedlich, da die Care-Arbeit an sich sehr unterschiedlich ist. Während Aufgaben der Kinderbetreuung häufig relativ plan- und erwartbar sind, geht die Pflege mit vielen Unklarheiten einher. Kita und Schule – der Zeitraum, für den die Care-Arbeit notwendig ist, aber auch der Aufwand je nach Alter der Kinder, ist häufig gut abschätzbar. Die Angehörigenpflege hingegen ist kaum vorhersehbar. Gerade zu Beginn der informellen Pflege ist unklar, wie hoch der Pflegeaufwand ist oder wie lange die Pflege notwendig sein wird. Pflegesituationen seien selten planbar und werden im Zeitverlauf komplizierter (Seidel, 2021).
Gelingt die Vereinbarkeit nicht, kann die Erwerbstätigkeit zur Belastung werden und die Berufs- und die Pflegetätigkeit schwierig nebeneinander darstellbar. Etwa ein Drittel der Hauptpflegepersonen reduziert aufgrund der Pflege ihre Arbeitszeiten, 15 % geben ihre Erwerbstätigkeit ganz auf (Nowossadeck et al. 2016). Die Berufstätigkeit kann jedoch viel Gutes für informell Pflegende bewirken. Gelingt die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, kann die Erwerbstätigkeit das Gefühl der Selbstwirksamkeit stärken und stellt für die Pflegenden oft auch eine Pause von ihrem Care-Arbeitsplatz dar.
Die Gesundheit pflegender Angehöriger durch gesundheitsfördernde Maßnahmen langfristig erhalten
Maßnahmen, die Gesundheit am Care-Arbeitsplatz zu erhöhen, sind für alle informell Pflegenden wichtig. Unbürokratische Bewilligungsprozesse für technische Pflegehilfsmittel, aber auch Angebote, die zur seelischen Entlastung der informell Pflegenden beitragen, könnten zur langfristigen Erhaltung der Gesundheit der Pflegenden beitragen. Für erwerbstätige Pflegende ergeben sich besondere Herausforderungen, bei denen auch die Arbeitgebenden gefordert sind, um zu ermöglichen, dass Beruf und Pflege parallel ausgeübt werden können.
Wenn Sie Fragen zu den Themen Angehörigenpflege, Arbeitsplatzgesundheit oder Vereinbarkeit von Beruf und Pflege haben, sprechen Sie uns gerne an!
Quellen und Literatur
van den Berg B, Spauwen P. Measurement of informal care: an empirical study into the valid measurement of time spent on informal caregiving. Health Econ. 2006;15(5):447–60. 20.
Bohnet-Joschko, S., & Bidenko, K. (2022). Hochbelastete Gruppen pflegender Angehöriger – Ergebnisse einer Clusteranalyse. Das Gesundheitswesen, 84(06), 510–516.
Halpern MT, Fiero MH, Bell ML. Impact of caregiver activities and social supports on multidimensional caregiver burden: analyses from nationallyrepresentative surveys of cancer patients and their caregivers. Qual Life Res. 2017;26(6):1587–95
Hielscher, V., Kirchen-Peters, S., Nock, L., & Ischebeck, M. (2017). Pflege in den eigenen vier Wänden: Zeitaufwand und Kosten. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen geben Auskunft.
Kaschowitz, J. (2021). Angehörigenpflege als Gesundheitsrisiko: Die Rolle des Haushalts-, Migrations- und Länderkontexts. Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-34095-7
Nowossadeck, S., Engstler, H., & Klaus, D. (2016). Pflege und Unterstützung durch Angehörige. Deutsches Zentrum für Altersfragen. Abgerufen von https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-47091-5
[13:11] Katharina Kirstein – IEGUS GmbH
IEGUS-INSTITUT; CONTEC GMBH; WIFOR INSTITUTE (2023). Arbeitsplatzsituation in der Akut- und Langzeitpflege und Ermittlung sowie modellhafte Implementierung von Indikatoren für gute Arbeits-bedingungen in der Langzeitpflege. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Online verfügbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Konzertierte_Aktion_Pflege/Abschlussbericht_Studie_Arbeitsplatzsituation_in_der_Akut-_und_Langzeitpflege_Los-1_barrierefrei.pdf
Rebaudo, M., Hermann, J., & Calahorrano, L. (2022). Daten zur informellen Pflege.
Schulz R, Eden J, editors. Families caring for an aging America. National Academies Press; 2016. https://doi.org/10.17226/23606.
Schwinger, A., Tsiasioti, C., & Klauber, J. (2016). Unterstützungsbedarf in der informellen Pflege – eine Befragung pflegender Angehöriger. In Pflege-Report 2016 (S. 189–216). Schattauer.
Seidel, J. (2021). Anreize für Arbeitgeber zum Engagement für eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und privater Sorgearbeit. DNGPS Working Paper, 7(2021), 1–19. https://doi.org/10.3224/dngps.v7i1.03
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Statistisches Bundesamt. (o. J.). Pflegebedürftige nach Versorgungsart, Geschlecht und Pflegegrade. Statistisches Bundesamt. Abgerufen 25. April 2024, von https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Pflege/Tabellen/pflegebeduerftige-pflegestufe.html
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