In der stationären Langzeitpflege kommt es immer häufiger zu Insolvenzen von Pflegeheimträgern. Der Frage, welche rechtliche und tatsächliche Verantwortung im Fall von Insolvenzen bei den Pflegekassen liegt, widmeten sich Prof. Dr. Matthias von Schwanenflügel und Katharina Kirstein in ihrem Impulsvortrag auf unserer Jubiläumsveranstaltung.
In der stationären Langzeitpflege zeichnete sich bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres einmal mehr das große Risiko der Unterversorgung von Pflegebedürftigen ab. Auslöser sind vor allem die zahlreichen Insolvenzmeldungen großer und kleinerer Betreiber von Pflegeeinrichtungen. Beispielhaft zu nennen sind unter anderem die Convivo Holding GmbH, die DOREA GmbH, die Curata Care Holding GmbH, die Hansa Pflege & Residenzen GmbH und die Novent Holding GmbH. Fast 20.000 Pflegeplätze in der stationären Langzeitpflege waren somit seit Anfang 2023 von Insolvenzverfahren betroffen.
Eine solche Situation bedeutet für Pflegebedürftige und Mitarbeitende der Einrichtungen eine hohe Belastung. Bewohner*innen müssen sich in der letzten Phase ihres Lebens mit einem potenziellen Umzug, dem damit einhergehendem Verlust von Bezugspersonen (andere Bewohner*innen, Pflege- und Betreuungskräfte etc.) und letztendlich dem möglichen Verlust ihres bisherigen Zuhauses auseinandersetzen – ohne selbst in irgendeiner Form die Situation kontrollieren zu können. Auch für das Pflegepersonal ist die Situation mit einem hohen Stresslevel verbunden: Besonders Verantwortungsgefühle gegenüber den Bewohner*innen können emotional sehr belastend wirken.
Fachkräftemangel und Inflation führen zu Finanzierungsengpässen
Neben Kostensteigerungen (Pachtkosten, Energiekosten, Sachkosten etc.), die nicht rechtzeitig über Pflegesatzverhandlungen kompensiert werden konnten, sind auch niedrige Belegungsraten ein Grund dafür, dass die Finanzierung nicht auskömmlich für die einzelnen Einrichtungen war. Kalkuliert wird zumeist für eine 95-prozentige Belegung (bundeslandabhängig, aber in etwa). Aufgrund fehlenden Personals wurde in den Einrichtungen der betroffenen Träger aber nur eine Auslastung von etwa 70 Prozent realisiert.
Schon jetzt dauert es knapp vier Monate, um eine offene Stelle neu zu besetzen (Bundesagentur für Arbeit 2022). Eine aktuelle Studie geht bis 2035 von 1,8 Millionen Stellen im Gesundheitswesen aus, die nicht neu besetzt werden können (pwc 2022). Hinzu kommen Vereinbarkeitsproblematiken und die generelle Abnahme des familiären Pflegepotenzials. Der demografische Wandel wirkt sich so doppelt auf das Fachkräfteangebot in der Pflege aus: Der Pflegebedarf erhöht sich einerseits, während andererseits das Arbeitskräfteangebot demgegenüber immer niedriger ausfällt. Das resultiert in einer auch zukünftig weiterwachsenden Versorgungslücke.
Um diesen Entwicklungen zu begegnen und den Arbeitsplatz Pflege für Berufseinsteiger*innen sowie bestehende Fachkräfte attraktiver zu gestalten, wurde bereits einiges getan:
- Veränderungen durch das Pflegeberufegesetz
- Änderungen des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) mit der Einführung einer tariflichen Entlohnung für Pflegekräfte und der Umsetzung des Pflegemindestlohns
- Maßnahmen der Konzertierten Aktion Pflege (KAP)
- Pflegeunterstützung- und Entlastungsgesetz (PUEG)
- Neue Personalbemessung in Einrichtungen der stationären Langzeitpflege
Bisher werden Pflegekassen bei Insolvenzen noch nicht ausreichend aktiv
Obwohl Pflegekassen im Rahmen ihres Sicherstellungsauftrages (§12 SGB XI) in der Verantwortung zur Sicherstellung der Leistungen für ihre Versicherten stehen, werden sie noch nicht ausreichend aktiv bei der Vorbeugung und im Umgang mit Insolvenzmeldungen. Außerdem fehlen an einigen Stellen auch sozialrechtliche Handlungsoptionen.
Der Sicherstellungsauftrag der Pflegekassen (§ 12 SGB XI) gibt den Versicherten keinen unmittelbaren, Rechtsanspruch auf bestimmte Leistungen, nimmt jedoch, konkretisiert durch Versorgungsverträge, die Pflegekassen in die Pflicht, gemeinsam mit den Leistungserbringern eine koordinierte Versorgung zu bewirken. Ist also der Standpunkt der Pflegekassen im Insolvenzverfahren durch den Abschluss der notwendigen Verträge nicht mehr gefordert zu sein rechtens und sind stattdessen die Kommunen im Rahmen ihrer Daseinsvorsorge gefordert?
Pflegekassen stehen in der Verantwortung gegenüber den Versicherten
Die Systematik der Pflegeversicherung geht vom Sachleistungsprinzip aus. Wenn das Gesetz auf Sachleistung verweist, müssen Versicherte sich auch auf eine störungsfreie Leistung verlassen können. Sie sind schutzwürdig und die Kassen in der Verschaffungsverantwortung. Aus dem Versicherungsverhältnis in der Pflegeversicherung besteht eine Haftung der Kassen gegenüber den Versicherten – sie können darauf „pochen“, dass sie ihre Leistungen auch tatsächlich bekommen.
Die Pflegekassen sind demnach sehr wohl im Rahmen der Insolvenzverfahren gefordert, die Insolvenzverwalter zu unterstützen und können nicht einfach auf die Kommune verweisen. Auch die Bundesregierung hat in ihrer Antwort vom 16.08.2023 auf die kleine Anfrage der CDU/CSU Fraktion kürzlich verdeutlicht, dass das Bundesministerium für Gesundheit die Pflegekassen klar in der Verantwortung zur Sicherstellung der Versorgung ihrer Versicherten sieht.
Die Unterstützung der Insolvenzverwalter*innen kann in verschiedener Weise geschehen, z. B. durch Prüfung von Verlegungsmöglichkeiten in andere stationäre Einrichtungen oder durch Neuverhandlung der Pflegesätze (§ 85 Abs. 7). Dass die Pflegekassen im Falle von Insolvenzen sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht gefordert sind, zeigt auch ein Blick auf verwandte Problembereiche: Wenn in der ambulanten Versorgung eine Situation der Unterversorgung in einzelnen Regionen droht, können die Pflegekassen zur Gewährleistung der pflegerischen Versorgung Verträge mit Einzelpflegekräften abschließen (§ 77 SGB XI).
Pflegekassen brauchen mehr Möglichkeiten
Insolvenzverfahren sind für die Heimbewohner*innen sowie ihre Angehörigen mit großen Ängsten verbunden. Für die betroffenen Unternehmen, die händeringend nach Personal suchen, sind Insolvenzverfahren mit großen Unsicherheiten behaftet. Die Lehre aus dieser schwierigen Situation sollte sein, dass der Gesetzgeber – ähnlich wie im ambulanten Bereich – den Pflegekassen auch für den stationären Bereich Handlungsmöglichkeiten und Instrumentarien unmittelbar an die Hand gibt. Ziel sollte sein, eine derartige krisenhafte Situation gemeinsam mit den Pflegeeinrichtungen bewältigen zu können.
Ein Vorbild für den Gesetzgeber könnte § 150 SGB XI sein, der den Pflegekassen im Falle einer wesentlichen Beeinträchtigung der Leistungserbringung in Folge der Coronavirus-Pandemie, unter Beteiligung der für das Heimrecht zuständigen Stellen, weitreichende Möglichkeiten gibt, um die pflegerische Versorgung sicherzustellen. Das ist auch das Ziel bei der vorliegenden Fragestellung. Angesichts des Fachkräftemangels in den Pflegeberufen ist zu befürchten, dass Insolvenzen noch häufiger auftreten werden. Eine Regelung zur Bewältigung dieses Versorgungsproblems wird auf der politischen Agenda weiter nach vorne rücken müssen.
Haben Sie noch Fragen zu den Aufgaben der Pflegekassen in einer Situation der Unterversorgung? Sprechen Sie uns gerne an!
Den Foliensatz des Vortrags finden Sie hier auf unserer Jubiläumsseite.
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