Was können wir aus Erwerbsbiografien lernen? Michael Brantzko und Jonas Seidel widmeten sich vor dem Hintergrund der Erwerbsbiografien in ihrem Impulsvortrag auf der Jubiläumsveranstaltung den Themen Berufseinstieg, pflegerische Assistenzberufe und der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Wie diese Themen auf die Attraktivität des Pflegearbeitsplatzes einzahlen, haben wir für Sie in diesem Blogbeitrag zusammengefasst.

Berufsorientierung ist ein Prozess, der bereits im frühen Kindesalter beginnt.

Wann beginnt eigentlich Berufsorientierung? Als dynamischer Prozess ist sie im frühen Kindesalter verortet. Im Rahmen der familiären Sozialisation, prägender Ereignisse oder Erfahrungen bzw. Berührungspunkte im familiären oder Freundeskreis kann eine Haltung zu einem Berufsbild bezogen werden. Auch das Bundesinstitut für Berufsbildung versteht Berufsorientierung als Prozess, in dem Jugendliche mit ihren eigenen beruflichen Vorstellungen stets mit den tatsächlichen Gegebenheiten der Arbeitswelt in Einklang gebracht werden müssen (https://www.bibb.de/de/680.php).

Ab dem Kindesalter stehen vielfältige Angebote zur Verfügung, um eine gewisse Nähe zu einem Berufsbild aufzubauen. Der Aktionsrat Bildung bestärkt in seinem „Gutachten Bildung und berufliche Souveränität“ (2023) eine frühzeitige Anbahnung souveräner Entscheidungen für die Berufswahl bereits im Grundschulalter, um wirklichkeitsgetreue Vorstellungen von Berufen zu bekommen und sich auch aktiv mit den eigenen Wünschen auseinanderzusetzen (ebd.). Ab der Oberschule verdichten sich dann die Angebote über Messen, Kongresse, Praktika oder weitere Formate wie z. B. Boys/Girls Day. Nicht zuletzt werden die Jugendlichen auch durch mediale Einflüsse und Social Media in ihrer Berufswahl beeinflusst. Hervorzuheben ist noch, dass der ausgelaufene Zivildienst für Männer einen maßgeblichen Beitrag zum Einstieg in die Pflege leistete.

Realistische Erwartungshaltungen an den Pflegeberuf können Abbruchgedanken in der Ausbildung mindern.

Ein Beispiel für ein Angebot zur Berufsorientierung ist das Projekt „Care 4 Future“ von der contec GmbH. Auszubildende in der Pflege informieren Schüler*innen mit dem Ziel, sie für die Pflege zu begeistern. Künftige Bewerber*innen bekommen so klarere Vorstellungen des tatsächlichen Berufsalltags und damit eine entsprechende Erwartungshaltung, welche sich bestenfalls mit den Gegebenheiten vor Ort deckt.

Nicht immer gehen die Ansprüche an die Ausbildung mit der Ausbildungsrealität einher. Ein daraus resultierender Praxisschock kann schließlich zu Abbruchgedanken der Ausbildung führen (Fuchs et al. 2023). Insbesondere bei körperlicher und psychischer Belastung waren die Abweichungen schlechter bzw. höher als erwartet (ebd.). Kommt es in der Ausbildung zu Erwartungsabweichungen, so sind diese in erster Linie nicht zwangsläufig defizitär – vielmehr spiegeln sie einen ganz normalen Prozess der Berufsorientierung wider (ebd.). Allerdings gehen negative Erwartungsabweichungen Hand in Hand mit Abbruchgedanken (ebd.). Demnach bleibt es bei der Herausforderung für alle Personen (-gruppen) und Kampagnen, die für den Pflegeberuf werben, ein klares und unverzerrtes Bild vom Beruf zu vermitteln. Zeitgleich liegt die Verantwortung bei den in der Pflege Tätigen, den „Nachwuchs“ für sich zu gewinnen.

Personalmix in der Pflege – Assistenzberufe im Fokus

Der Personalbedarf in der Pflege ist hoch. Neben dem „klassischen Einstieg“ gibt es die Möglichkeit für einen Quereinstieg. In einer im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit durchgeführten Studie „Analyse, Befragungen und Maßnahmenempfehlungen zum Pflegearbeitsplatz der Zukunft“ (Arbeitsplatz-Studie) haben wir uns mit den Einflussfaktoren und Beweggründen der interviewten Quereinsteiger*innen befasst. Vorherige Erfahrungen mit der Pflegepraxis durch den Zivildienst sowie die Einmündung als Pflegehelfer*in sind hier hervorzuheben. Insbesondere vor dem Hintergrund des Personalbemessungsverfahrens, welches seit dem 01.07.2023 in der stationären Langzeitpflege eingeführt wurde und die Fachkraftquote abgelöst hat, gewinnt diese Zielgruppe im Rahmen des Personalmix‘ an Bedeutung. Die künftige kompetenzorientierte Aufgabenverteilung wird zudem Organisationsentwicklungsprozesse anstoßen und Einrichtungen vor neue Herausforderungen stellen.

Erwerbsbiografien positiv beeinflussen – das Entwicklungsrad guter Arbeitsplatzbedingungen

Die Herausforderungen setzen das Engagement der Arbeitgeber voraus, ihre Mitarbeitenden im Rahmen einer situativen Führung mitzunehmen und ihren Auszubildenden das Lernen in der Praxis zu ermöglichen, sodass sich daraus Berufsidentität entwickeln und Karrierewege ergeben können. Hierbei gilt es, die unterschiedlichen Erwerbsbiografien zu berücksichtigen. So konnte die Arbeitsplatz-Studie aufzeigen, dass Frauen mit längeren Jahren Berufsverbleib mehr Arbeitsplatzwechsel bewältigen als Männer, was die Heterogenität und Dynamik in den Berufsbiografien deutlich werden lässt. Ebenso gibt diese Kohorte im Vergleich zu männlichen Pflegenden deutlich häufiger an, dass der Pflegeberuf bereits zu Berufseinstieg gewählt wurde. Männer traten oftmals über Gelegenheitsjobs u. a. Berührungspunkte, wie z. B. den Zivildienst, mit dem Pflegeberuf in Kontakt. Um auch künftig gute Arbeitsplatzbedingungen zu schaffen, tragen neben der Gesellschaft die Arbeitgeber eine große Verantwortung für eben diese.

Wie Arbeitgeber die Arbeitsplatzbedingungen in der Pflege verbessern können, zeigt unsere Arbeitsplatz-Studie: Es gibt drei Handlungsfelder, die sich gegenseitig bedingen, in denen sich professionell Pflegende bessere Arbeitsplatzbedingungen wünschen. Zum Ersten soll Pflege öffentlich als Profession wahrgenommen werden, die Expertise benötigt und attraktiv vergütet wird. Zum Zweiten sind Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten mit unterschiedlichen Karrierewegen gewünscht. Das dritte Handlungsfeld betrifft den Arbeitsalltag. Pflegende wünschen sich partizipative Führung, Mitspracherecht, Unterstützung bei physischen und psychischen Belastungen und dass der Arbeitsalltag auch zu verschiedenen Lebensmodellen passt. Um vielfältigen Lebensmodellen und Familiensituationen zu begegnen, ist eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben unerlässlich.

Illustration eines Rades, das unterschiedliche Handlungsfelder in drei Bereichen darstellt: Öffentliche Wahrnehmung, Arbeitsalltag und Professionalisierung der Pflege.

Vereinbarkeit bedeutet mehr als die Betreuung von Kindern.

Die Vereinbarkeit des Pflegeberufs mit dem Privatleben ist ein wichtiger Faktor, um die Attraktivität des Pflegeberufs zu erhöhen. Lange Zeit wurde unter dem Begriff „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ in der wissenschaftlichen und politischen Debatte schwerpunktmäßig die Vereinbarkeit der beruflichen Tätigkeit mit Aufgaben der Kinderbetreuung und -erziehung diskutiert. Durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse und insbesondere die demografische Entwicklung ist in den letzten Jahren zunehmend der Vereinbarkeitsaspekt der informellen Pflege in den Fokus geraten. Unter dem Begriff „Vereinbarkeit von Beruf und Pflege“ steht hierbei die Frage im Vordergrund, wie informell pflegende Beschäftigte bestmöglich unterstützt werden können, um ihre Pflegeaufgabe mit dem Beruf zu vereinbaren. Neben diesen beiden Formen privater „Care-Arbeit“ können Mitarbeitende jedoch noch weitere Vereinbarkeitsbedarfe haben, die bislang weder erforscht sind noch auf der politischen Agenda stehen. Denkbar ist hier ein breites Spektrum von ehrenamtlicher Tätigkeit, über Vereinstätigkeiten bis hin zu vielfältigen weiteren Freizeitaktivitäten.

Damit die Vereinbarkeit gelingt, wünschen sich beruflich Pflegende flexible und verlässliche Arbeitszeiten.

Aus dieser differenzierten Betrachtung des Vereinbarkeitsbegriffs ergibt sich für uns eine erste Handlungsempfehlung für Pflegeunternehmen, die ihre Mitarbeitenden bei einer gelingenden Vereinbarkeit unterstützen möchten: Es sollten nicht nur Eltern und informell pflegende Beschäftigte, sondern vielmehr alle Mitarbeitenden mit ihren individuellen Vereinbarkeitsbedarfen gleichermaßen berücksichtigt werden.

Um konkret zu beantworten, welche vereinbarkeitsfördernden Maßnahmen sich beruflich Pflegende wünschen, haben wir im Rahmen der im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit durchgeführten Arbeitsplatz-Studie diese Frage in der standardisierten Befragung aufgegriffen. Die Ergebnisse machen die Bedarfe von beruflich Pflegenden deutlich:

  • Beruflich Pflegende wünschen sich flexible und vor allem verlässliche Arbeitszeitmodelle
  • Sie wählen bewusst eine Tätigkeit in Teilzeit, damit die Vereinbarkeit gelingt

In der Pflegebranche sind der Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort Grenzen gesetzt, mit etwas Kreativität gelingt aber auch hier die Vereinbarkeit.

Die Befragungsergebnisse zeigen auch, dass eine nicht-gelingende Vereinbarkeit dagegen zur Abwanderung in die Zeitarbeit oder im schlimmsten Fall zur vollständigen Berufsaufgabe führen kann. Um vereinbarkeitsfördernde Maßnahmen, die Arbeitgeber sinnvoll umsetzen können und sollten, für Sie weiter zu konkretisieren, ist es hilfreich, erst einmal auf die Besonderheiten der Pflegebranche bei der Vereinbarkeit von Beruf und privater Sorgearbeit zu blicken. Im Vergleich zu anderen Branchen bestehen in der Pflege eingeschränkte Möglichkeiten zur Flexibilisierung einerseits der Arbeitszeit, vor allem bedingt durch die Schichtarbeit. Andererseits ist auch die Flexibilisierung des Arbeitsortes (Stichwort: mobiles Arbeiten und Homeoffice) begrenzt bzw. werden hier Potenziale der Digitalisierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vollends ausgeschöpft.

Doch trotz oder gerade wegen dieser branchenbedingten Besonderheiten können Pflegeunternehmen einiges für die gelingende Vereinbarkeit ihrer Beschäftigten tun und sich dadurch als attraktiver Arbeitgeber positionieren. So sollten Möglichkeiten der Flexibilisierung ausgereizt werden und bei allen betrieblichen Abläufen möglichst Rücksicht auf die Bedürfnisse von Vereinbarer*innen genommen werden. Konkrete vereinbarkeitsfördernde Maßnahmen, die mit etwas Kreativität trotz der beschriebenen Herausforderungen umgesetzt werden können, sind beispielsweise:

  • Familienfreundliche Dienstplangestaltung mit belastbaren Ausfallkonzepten, um Verlässlichkeit in der Arbeitszeitplanung zu gewährleisten.
  • „Eltern-Touren“ in der ambulanten Pflege, bei denen die Bedürfnisse von Eltern bei der Tourenplanung Priorität behandelt werden.
  • Monetäre Entlastung, wenn die Vereinbarkeit durch kurzfristiges Einspringen erschwert wird.

Unser Fazit: Pflegeunternehmen profitieren vielfach von einer gelingenden Vereinbarkeit.

In einer gelingenden Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben liegt ein wichtiger Attraktivitätsfaktor für Pflegeunternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels. Wissenschaftliche Studien belegen zudem positive Wirkungen auf die Zufriedenheit und Bindung der Mitarbeitenden. Wichtig ist dabei, nicht ausschließlich Eltern und informell pflegende Beschäftigte zu adressieren, sondern auch weitere individuelle Vereinbarkeitsbedarfe zu berücksichtigen. Trotz einiger branchenbedingter Besonderheiten und Einschränkungen beim flexiblen Arbeiten können Arbeitgeber in der Pflege aktiv werden und sinnvolle vereinbarkeitsfördernde Maßnahmen für ihre Beschäftigten umsetzen.

Haben Sie weitere Fragen zum Thema Vereinbarkeit von Pflegeberuf und Privatleben? Interessieren Sie sich für weitere Handlungsempfehlungen zur konkreten Implementierung von vereinbarkeitsfördernden Maßnahmen? Haben Sie Fragen zum Thema Berufseinstieg und -verbleib?

Nehmen Sie gerne Kontakt auf!

Den Foliensatz des Vortrags finden Sie hier auf unserer Jubiläumsseite.

Ihre Ansprechpartner zu Vereinbarkeit, Berufseinstieg und Berufsverbleib